Im Rahmen der Kunst-Aktion „Lebenskünstler* aus dem Lockdown…“, einer Ausstellung mit Fotobuch anlässlich des 20-jährigen Jubiläums des Ambulant-Komplementären Verbunds Mühldorf, haben Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen Bilder und Kunstwerke geschaffen, in denen sie ihre Erfahrungen mit der Corona-Pandemie verarbeiten. Die Ausstellung war bis Ende Dezember 2021 in Mühldorf zu sehen. Mit Bildern und Skulpturen bringen die Klient*innen sehr verdichtet zum Ausdruck, wie sie die Pandemie erleben. „Hier kommen unterschiedliche Aspekte zusammen“, berichtet Stefan Wilhelm, Einrichtungsleiter der Sozialtherapeutischen Einrichtung in Waldkraiburg.
Als durch Kontaktbeschränkungen und Lockdown Gruppenangebote wie Ausflüge oder Treffen nicht zustande kamen, haben sich viele in sich selbst zurückgezogen. Für Spaziergänge, die möglich gewesen wären und der Psychohygiene auch guttun, fehlte häufig der innere Antrieb. „Solches Verhalten schleift sich dann schnell ein und wir wissen gerade noch nicht, ob und wie wir unsere Klient*innen da wieder herausbekommen“, so Wilhelm weiter.
Trotz Rückzug, mehr Stabilität
Der Einrichtungsleiter kann jedoch auch von anderen Erfahrungen aus der Pandemie berichten: Menschen mit Doppeldiagnosen (mit psychischer Beeinträchtigung und Suchtmittelproblematik) sei beispielsweise die Abstinenz leichter gefallen. Viele seien stabiler geworden. Die gelockerten Kontaktbeschränkungen im Sommer 2021 nutzten sowohl Klient*innen, also auch Betreuer*innen und Künstler*innen, um die Kunst-Aktion „Lebenskünstler* aus dem Lockdown…“ mit Leben zu füllen. So konnte nicht nur jede*r Einzelne, sondern konnten auch Gruppen der Kreativität freien Lauf lassen.
Gemeinschaftsprojekte
Die Gemeinschaftsprojekte der Sozialtherapeutischen Einrichtung Waldkraiburg – „Lockdown Golf“ (Bild 1) und „Meer in der Box“ (Bild2) – wurden im Garten der Einrichtung gestaltet, es war sonnig und warm. „Ein zauberhafter Tag“, erinnert sich Hadar Jansen, Ergotherapeutin in Waldkraiburg, die das Projekt im Rahmen der Arbeitstherapie begleitete.
Die Idee zu den Kunstwerken entstand, um den Alltag mit Beschränkungen im Rahmen der Möglichkeiten aktiver zu gestalten. „Es war eine tolle Atmosphäre, wir waren in der Natur und haben mit Naturmaterialien gearbeitet“, berichtet Jansen. „Wir wollten etwas Positives machen, haben uns überlegt, wo wollen wir hin, was tut uns gut?“
So entstand unter anderem ein Umzugskarton (Bild 1), der einen Golfplatz zeigt mit grüner Wiese, Flaggenstöcken und Fahnentüchern, Bunker und Wasserhindernissen. Blauer Himmel mit zwei Schön-Wetter-Wolken und die Sonne laden zum Golfspielen ein. Eine andere Kiste (Bild 2) beinhaltet einen Sandstrand mit Muscheln und Palmen. Auf dem Wasser schwimmen Boote und Flöße. Ein Tag am Strand, wie man ihn sich im Urlaub wünscht. „Es war schön, sich auf das Positive zu konzentrieren“, erinnert sich Hadar Jansen.
Individuelle Projekte
Andere Beiträge zu der Ausstellung entstanden als Einzelarbeiten. Die Erschafferin des Kunstwerkes „Der Schrei“ (Bild 4) schreibt: „Aus dem ,Schrei nach Zuwendung‘ purzeln die nett aussehenden Zerstörer heraus. Unkontrolliert vernichten sie Umarmungen, Begleitungen, Gesichtszüge, Existenzen, singende Herzen. Ich könnte schreien.“ In diesen Sätzen steckt jedoch nicht nur Verzweiflung, sondern auch das Bedürfnis, sich mit einem lauten Schrei von der zuweilen verzweifelten Situation zu befreien. Die Künstlerin ist inzwischen aus der Sozialtherapeutischen Einrichtung Waldkraiburg ausgezogen, wohnt und meistert ihr Leben wieder alleine.
Das Bild 3 „Die fürchterliche Welt der Krise“, verbindet eine außergewöhnliche Kunsttechnik – das Pendeln mit Acrylfarbe – mit der Ausnahme-Situation der Pandemie. Das Bild entstand, indem der Künstler flüssige Acrylfarbe in ein Gefäß füllte und es als Pendel an einer Schnur aufhing. In den Boden des Gefäßes wurde ein kleines Loch geschnitten und das Gefäß dann per Hand angestoßen, sodass es als Pendel über das Bild schwang und dabei die Farbe nach und nach aus einem Loch im Becher herauslief. So entstand das abgebildete Muster – ein nicht vorhersehbares, überraschendes Ergebnis, das allein durch den Schwung, die Freiheit und die Spontanität des Pendels, definiert wurde.
„Wir wollen wieder etwas erleben“
Die Bandbreite der Kunstwerke zeigt sowohl die Verzweiflung, die viele im Lockdown erlebt haben – alleine Zuhause oder in einer Einrichtung. Sie zeigt aber auch, auf was sich die Künstler*innen freuen, wenn wieder mehr möglich ist. Das bestätigt auch Stefan Wilhelm: „Ausflüge und gemeinsame Aktivitäten wären für uns alle gerade sehr wichtig. Wir wollen gemeinsam wieder etwas Neues erleben.“ Stefan Wilhelm sagt mit Blick auf knapp zwei Jahre Pandemie: „Wir haben gelernt, dass es nicht die eine große Leere gibt, sondern solche und solche Phasen. Die einen haben wir besser gemeistert, in den anderen waren wir einsam und traurig. Auf jeden Fall ist in unserer Einrichtung ein großes Zusammengehörigkeitsgefühl entstanden."
Linda Quadflieg-Kraft
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Die Kunstwerke aus dem Lockdown.
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